27. – 29. 06. 2022 grandiose Bio-Betriebsbesichtigungen in Vorarlberg und der Schweiz – 2AUL, 4LWE

DI Daniel Nigg organisierte für die 4LWE und die 2AUL (beide aus der Fachrichtung „Landwirtschaft und Ernährung“) eine sehr abwechslungs- und lehrreiche Fortbildungsfahrt in Vorarlberg und der Schweiz. Begleitet wurden die rund 40 interessierten Schülerinnen und Schüler von Mag.a Andrea Hackl und Dr. Paul Brugger.

Am Montag ging es über den Flexenpass nach Lech und weiter über Schröcken nach Schoppenau. Die vorgeschriebenen Ruhezeiten für den Busfahrer fielen gut mit unserem ersten Stopp beim Diedamskopf im hinteren Bregenzerwald zusammen. Die hochalpine Landschaft und die schmalen, geschlungenen Bergstraßen ließen erahnen, in welch‘ rauen, ursprünglichen Gegend unsere Mitschülerin und Mitschüler, die in Warth zustiegen, wohnen.

Erholt ging es weiter nach Doren im vorderen Bregenzerwald, wo uns Familie Agathe und Karl Lingenhel auf ihrem Biohof Lingenhel mit einer ihrer vier Töchter, Laura – Absolventin des Aufbaulehrgangs der HBLFA Tirol 2017/2018 – schon mit einem regionalen Essen willkommen hieß. Wir speisten ein herrliches Gulasch mit viel Gemüse und selbstgebackenen Brot, bekamen eigenen Apfelsaft und als Dessert gab es eine feine Topfencreme auf Erdbeerspiegel. Es war ein reiner Genuss das Mittagessen im sonnendurchfluteten Seminarraum aus Vollholz einnehmen zu können.

Anschließend erfuhren wir mit Film (https://www.youtube.com/watch?v=Q1wwqVbj7A8) und Vortrag viel Wissenswertes über den vielfach ausgezeichneten Biohof und über die Betriebsphilosophie. Unter anderem freut sich Familie Lingenhel über die höchste Auszeichnung im deutschsprachigen Raum. Sie gewannen den angesehenen CERES-Award 2019.

Original Braunvieh mit Hörner wird mit eigenem Stier am Hof gehalten. Erlebnisküche, Seminarraum, Schule am Bauernhof, ein Bioladen und ein Verkaufsautomat ergänzen das Angebot. Beim Hofrundgang konnten wir den Stall, den Garten, die Dachbegrünung, die Kompostierung des Festmists, die Hühner, … besichtigen.

Wir bedanken uns herzlich bei Familie Lingenhel für die gewährten Einblicke in den Betrieb, die Philosophie und die hervorragende Bewirtung.

Anschließend ging es weiter zum Betrieb METZLER in Egg. Lukas, einer der vier Söhne von Familie Metzler, zeigte uns den sehr innovativen Betrieb. Am Bauernhof, den der Großvater noch klassisch mit Kühen führte, zeigte er uns die Erweiterung um den Schweinestall, den sein Vater als Chance sah. Metzler sen. bekam eine mit Zwillingen trächtige Ziege geschenkt und die heutige Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf. Es wurde Käse erzeugt und regional vermarktet. Es stellte sich die Frage, was mit der anfallenden Molke noch erzeugt werden könnte. So kam man auf die Idee daraus Kosmetika (Lotions, Seifen, Shampoos, …) zu erzeugen. Und diese Naturkosmetikprodukte fanden so reißenden Absatz, dass wieder weitere Betriebserweiterungen gemacht wurden.

Wir bekamen eine sehr interessante Betriebsführung durch die Labore, die Kommissionierung, das 13 m hohe chaotisch organisierte Hochregallager (alles aus eigenem Holz) mit selbstfahrendem Roboter. Wir konnten in die Käseproduktion blicken und im Verkaufsraum die Produkte erwerben. Wir bekamen Einblick in den Ziegen- und Kuhstall mit der interessanten Melkgrube. Rechts werden 8 und 8 Ziegen gemolken, links zwei Kühe.

Anschließend konnten wir die regionalen Lebensmittel von Familie Metzler genießen: Graukassuppe, Käse- und Wurstbuffet, heiße Kartoffeln, Frischkäse und Butter. Dazu gab es herrliche Molkegetränke – natürlich aus eigener Produktion.

Herr Metzler sen. erzählte uns dann von den betriebswirtschaftlichen Herausforderungen sein Lebenswerk an seine vier Söhne zu übergeben und über das nächste, anstehende Projekt. Es soll ein eigener Schlachtraum mit Fleischverarbeitungsräumen in Egg entstehen. Derzeit arbeiten 42 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Familie Metzler. Die Entwicklung der Kosmetika, die Familie Metzler auch für andere Milcherzeuger (z.B. aus Stutenmilch, …) anbietet, machen interessanterweise ausgebildete Köchinnen und Köche.

Wie hoch die Anforderungen für Molke-Kosmetikprodukte sind, war auch ein wichtiger Teil der Betriebsbesichtigung. Für HACCP, für das Etikettieren, für das Inverkehrbringen von Lebensmittel aber vor allem von Kosmetika gibt es sowohl viele innerstaatliche als auch EU-Vorgaben.

Abends ging es in das Bäuerliche Schul- und Bildungszentrum Hohenems, wo wir im Internat übernachten konnten. Interessierte bekamen von Ing. Christian Winklehner, dem Verwalter und Betriebsführer des schuleigenen Rheinhofs, eine interessante Betriebsführung durch den riesigen Laufstall mit vielen verschiedenen Rassen. Wir sahen den Melkstand, die Bio-Schweinehaltung, die Gemüselagerung, die Puten, die Pferde und den Reitplatz. Begleitet wurden wir von einer streichelsüchtigen Katze. Bevor ein Gewitter für eine willkommene Abkühlung sorgte, erreichten wir wieder das Internat der einzigen landwirtschaftlichen Fachschule in Vorarlberg. In Hohenems lehren ehemalige Absolventinnen und Absolventen der HBLFA Tirol und wir freuen uns stets über neue Schülerinnen und Schüler, die an die dreijährige Fachschule in Hohenems bei uns den dreijährigen Aufbaulehrgang anschließen.

Am Morgen genossen wir das regionale, umfangreiche Frühstücksbuffet, ehe wir uns auf den Weg zum FiBL​​​​​​​ (Forschungsinstitut für biologische Landwirtschaft) am Standort Frick (im Fricktal im Kanton Aargau) machten.

Dort wurden wir von Dr. Florian Leiber – einem Studienkollegen von DI Nigg – begrüßt. Am Wochenende vor unserem Besuch wurde das neue Forschungsgebäude im Rahmen eines Tages der offenen Tür eröffnet. Es war geschmackvoll dekoriert und die Kühe im Stall trugen nur deshalb (noch) die Kuhglocken im Stall.

Dr. Leiber präsentierte uns im Saal „Lausanne“ die Organisation des FiBL​​​​​​​s, die Standorte mit den MitarbeiterInnen, die Philosophie, das 50jährige DOCK-Projekt und als Leiter des Departements für Nutztierwissenschaften ging es natürlich auf die aktuellen Herausforderungen in der Nutztierhaltung im biologischen Sektor der Schweizer Landwirtschaft.

Seine aktuellen Forschungsthemen sind:

  • Neue landwirtschaftliche Stoffkreisläufe mit Wasserlinsen
  • Erhöhung der Nutzungsdauer schweizerischer Milchkühe: Einflussfaktoren, Zukunftsszenarien und Strategieentwicklung
  • Raufutter in der Hühnerhaltung – Auswirkungen auf die Proteinverwertung bei Hybriden und Zweinutzungsrassen
  • Tierethik
  • Aufbau Bio-Milchviehzucht

Anschließend machten wir einen Rundgang im Bio-Laufstall mit Schweizer Fleckviehkühen mit Hörnern mit interessanter Schweizer Aufstallung, extra breiten Gängen mit speziell gerillten Betonelementen aus den Niederlanden, die das Ausrutschen sehr effektiv verhindern. Vorbei an den Kälbern, dem Milchautomat ging es zum Wasserlinsen-Projekt. Im Verhältnis 1:10 wird die Gülle mit Wasser versetzt und es werden Wasserlinsen „gepflanzt“. Ob Wasserlinsen direkt oder zum Beispiel über Kompostierung indirekt eine Zukunft in der biologischen Landwirtschaft haben, werden die Ergebnisse dieses Versuchs erst zeigen.

Anschließend ging es zum üppigen, regionalen Mittagessen.

Nachmittags erklärte uns DI Andreas Häseli, seines Zeichens Mitarbeiter im Departement für Nutzpflanzenwissenschaften am FiBL Schweiz, Gruppe Anbautechnik Obst- & Weinbau – viel Wissenswertes über den Anbau, Pflege, Schnitt, Ernte, Schädlinge, biologischen Pflanzenschutz bei Tafelkirschen, Marillen und im Weinbau.

Anschließend übernahm uns DI Hansueli Dierauer, Leitung Gruppe Anbautechnik Ackerbau vom Departement für Bodenwissenschaften. Er stellte uns ausführlich den DOK-VERSUCH vor. Bei diesem Versuch werden seit 1978 biologisch-dynamische, organische und konventionelle (integrierte) Anbausysteme miteinander verglichen. Dabei werden reale Anbaumethoden in einem Parzellenmuster abgebildet. Der Versuch ist weltweit einmalig, die Ergebnisse aus Boden- und Pflanzenproben dienen für eine Vielzahl von nationalen und internationalen Projekten als Referenz. Die Entwicklung der Kohlenstoffgehalte im Boden und die sich im Boden abspielenden bio-geochemischen Prozesse sind insbesondere unter dem Aspekt des Klimawandels von großer Bedeutung. Der Versuch ist Grundlage für zahlreiche europäische Projektbeteiligungen. Er wird in enger Zusammenarbeit mit Agroscope Reckenholz durchgeführt. Der DOK-Versuch dient auch als Leitversuch für verschiedene Langzeitsystemvergleiche (Syscom) in den Tropen.

Abschließend ging es noch auf die Versuchsflächen, wo wir Mais, Linsen, Soja, Sonnenblumen, Raps, Leinen, Hanf, … sehen konnten.

Der Aufenthalt am FiBL hat uns tief beeindruckt. Biologischer Landwirtschaft wird an diesem großen, bedeutenden Forschungsinstitut tatsächlich gelebt. Von den Auswahlmöglichkeiten beim Kaffeeautomat, über das WLAN-Passwort bis hin zu den vielen Velostellplätzen oder e-Tankstellen am Areal. Wir werden wohl nicht zum letzten Mal am FiBL gewesen sein …

Anschließend fuhren wir in unsere Herberge „Herzberg“ im Aargau. In der abgelegenen aber idyllisch gelegenen Unterkunft ließen wir den Abend gemütlich ausklingen.

Mittwochmorgens ging es zum Biobetrieb von Stefan Jegge im aargauischen Kaisten. Gemeinsam mit seiner Frau Anita führt er einen Low input Betrieb mit Ganzjahresweide und saisonaler Abkalbung bereits in zweiter Generation. Sein Vater kaufte den Hof 1951, das Paar übernahm ihn 2002 und veränderten vieles. Sie stellten auf Bio um und betreiben den Hof heute vorwiegend mit Milchkühen der Rasse Schweizer Fleckvieh, Ackerbau, Tafeltrauben und etwas Hochstammobst.

„Ich habe das Gefühl, dass wir heute in den Sommermonaten weniger Niederschläge haben als früher“, sagt der Landwirt. „In der Zeit des Hauptwachstums der Pflanzen fehlt es an Wasser“. Das Austrocknen der Böden sei gerade bei den Ansaaten und für die Gerinnung des Samens ein Problem und führe zu weniger Ertrag.

Die Trockenheit ist hauptsächlich auf die Erderwärmung zurückzuführen. In den letzten 30 Jahren lag die durchschnittliche Schweizer Jahrestemperatur rund 1 °C über den Durchschnittswerten von 1961 bis 1990. Der menschliche Treibhausgasausstoß ist für die beobachtete Erwärmung hauptverantwortlich. Die fünf wärmsten Jahre seit 1864 wurden nach 2010 gemessen. Für Stefan Jegge war der Hitzesommer 2003 prägend: „In diesem Jahr hatten wir zu wenig Futter wegen der Trockenheit. Zum ersten Mal habe ich am eigenen Leib erlebt, was es heißt, für alle diese Tiere verantwortlich zu sein“, erinnert sich der Biobauer. Dieser Sommer habe auch gezeigt, dass die über Jahrzehnte genutzte Wasserquelle definitiv nicht mehr reichen werde für den Betrieb. Familie Jegge ist daher eine tier- und standortgerechten Rinderhaltung sehr wichtig.

Der Hitzesommer machte auch klar, dass sie auf Pflanzen umstellen müssen, die hitzebeständig sind. „Ich bin dann auf Sorghum gestoßen, eine afrikanische Getreideart, die im heutigen Klima besser wächst und die wir als Winterfutter einsetzen.“, so Herr Jegge. Es gäbe heute mehr Ungewissheit, ob genügend Futter produziert werden könne für die Tierbestände. Er setzt auf ein Vollweidesystem, das heißt, die Kühe sind während der Vegetationszeit auf der Weide. „Wir veränderten auch die Wiesenzusammensetzung und setzen heute mehr auf Pflanzen, die wenig Wasser brauchen und extreme Hitze besser überstehen“. Die Jegges bauten weitere Betriebszweige wie die Tafeltrauben auf, die ursprünglich aus dem Mittelmeergebiet stammen und Hitze gewöhnt sind.

Mit seinen Wurzeln auf dem Bauernhof hat Stefan Jegge eine starke Bindung zur Natur. Eine nachhaltige Produktionsweise ist ihm immer ein Anliegen und auch Motivation, auf Biolandbau zu setzen: „Wir müssen so produzieren, dass einerseits die Bedürfnisse der Konsumentinnen und Konsumenten erfüllt sind, aber wir andererseits auch bezüglich Klimawandel möglichst schonend sind,“ so seine Grundhaltung. „Nur möglichst viel produzieren zu wollen und dabei die Natur auszubeuten, ist ein kurzfristiges Denken. Das kann nicht das Ziel sein“, ist Stefan Jegge überzeugt. Es brauche Anpassungen bei den Produkten und in der Bewirtschaftungsform. Allgemein brauche es eine Umstellung in den Köpfen von vielen Bäuerinnen und Bauern, aber auch von Konsumentinnen und Konsumenten.

Als Vater von drei Kindern macht er sich Gedanken über die Zukunft: „Der Klimawandel wird, auch wenn wir ihn bremsen können, weiterhin starke Auswirkungen haben“. Sein Sohn überlegt sich, die Erstausbildung zum Landwirt zu machen. „Ich denke, wenn die nächste Generation den Hof übernimmt oder weiterführt, werden die Bedingungen sicher schwieriger sein als jetzt“.

2005 hat Stefan Jegge seine 30 Ar große Anlage aufgebaut. Die Idee, in Kaisten Reben zu pflanzen, sie zu hegen und zu pflegen und die Erzeugnisse zu vermarkten, ist nicht neu. Bis vor 150 Jahren war die Gemeinde bekannt als Rebbaudorf. Dem setzte die aus Amerika eingeschleppte Reblaus ein jähes Ende. Für Stefan Jegge ist die Vergangenheit ein Indiz, dass die Reben in Kaisten gut und gerne gedeihen. Der Biobauer wagte gemeinsam mit seiner Frau den Schritt und investierte Geld, viel Zeit und noch mehr Arbeit in die Tafeltrauben-Anlage. Einen Schritt, den er bis heute nicht bereut.

Entgegen dem konventionellen Tafeltrauben-Anbau dürfen beim biologischen Anbau keine Pestizide zum Einsatz kommen. Entsprechend aufwändiger wird die Pflege. Und weil auch das Auge mitisst, verlangt der Markt nach großbeerigen Traubensorten. Die hingegen neigen zum Aufplatzen. Um vor witterungsbedingten Einflüssen wie Regen und Hagel zu schützen, hat Stefan Jegge seine Anlage mit Plastikfolie abgedeckt. Gegen Schäden durch Vögel, Wespen und auch Wildtiere schützt ein zusätzlich angebrachtes Netz. Unter der Folie entwickelt sich ein warmes und trockenes Klima.

Wir machten einen Rundgang am Hof, beobachteten die Kühe auf der Weide, besichtigten die Tafeltrauben und konnten selbstproduzierte Apfel- und Traubensäfte verkosten.

Wir bedanken uns herzlich bei Familie Jegge für die gewährten Einblicke und dass sie sich Zeit für die Betriebsbesichtigung genommen haben, uns den idyllisch gelegenen Hof zu zeigen.

Nach einem kurzen Stopp zum „Schoggikaufen“ ging es nach Vorarlberg. Die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit des Busfahrers fiel wieder mit unserem Mittagessen zusammen. Und dann ging es gestärkt und voll mit vielen neuen Ideen retour nach Rotholz.

Wir bedanken uns allen voran bei DI Daniel Nigg für die unglaublich interessante Exkursion, die sowohl zeitlich als auch inhaltlich perfekt auf uns abgestimmt war. Auch kulinarisch werden wir die Betriebsbesichtigungen bestens in Erinnerung behalten. Herzlichen Dank!

Veröffentlicht am 04.07.2022